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Die AfD hinter verschlossenen Türen: Neue Doku „Eine deutsche Partei“ kommt ins Kino

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Vorne: Frank Hansel, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus. Foto: Spicefilm
Vorne: Frank Hansel, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Doku „Eine deutsche Partei“ kommt im Juni in die Kinos. © Spicefilm

Der neue Dokumentarfilm „Eine deutsche Partei“ zeigt, wie die Prozesse in der AfD ablaufen – und ist dabei ein spätes Juwel des „direct cincema“.

Frankfurt – Man hört sie nicht mehr oft, die Begriffe, die in den frühen 60er Jahren eine Revolution des Dokumentarfilms einleiteten – „cinéma vérité“ und „direct cinema“: Vielleicht ist „Wahrheit“ ein zu großer Begriff geworden für den Anspruch seriösen Filmemachens in den Zeiten von „Fake News“. Und sind nicht die technischen Neuerungen, die den 16mm-Kameraleuten einst das Gefühl gaben, „Fliegen an der Wand“ zu sein, ohnehin vom Digitalen technisch überholt?

Simon Brückners Dokumentarfilm „Eine deutsche Partei“ stellt sich in diese Tradition. In seinen klaren, unkommentierten Bildern und der Wahl des Themas erinnert er an den großen, noch aktiven „direct cinema“-Veteranen, den 92-jährigen Amerikaner Frederick Wiseman. Unablässig porträtiert dieser demokratische Institutionen. Aber ist die AfD überhaupt eine solche? Wenn die anderen Bundestagsfraktionen jedenfalls von „demokratischen Parteien“ sprechen, dann um den Rechtspopulisten genau diesen Status abzusprechen. Tatsächlich wird die AfD seit 2018 von verschiedenen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet.

Alternative für Deutschland (AfD)
Gründung06. Februar 2013
ParteivorsitzenderTino Chrupalla
JugendorganisationJunge Alternative für Deutschland (JA)
AusrichtungNationalkonservativ, rechtspopulistisch
Mitglieder32.000 (Stand: Januar 2021)

AfD-Doku „Eine deutsche Partei“ kommt ins Kino: Kein Mangel an rassistischen Aussagen

Von 2019 bis 2021 hat der Filmemacher die AfD auf allen drei Ebenen beobachtet; in Bezirken, dem Landesparlament und dem Bundestag; einen Schlusspunkt setzt der Abgang von Ex-Parteichef Meuthen. Nach einem erzählerischen roten Faden musste der Regisseur nicht lange suchen: Schon bald nach ihrer Gründung als Euro-kritische Partei rückte die AfD immer weiter nach rechts. Es ist faszinierend, wie sich in den Wirklichkeits-Scheiben, die der Filmemacher so diskret serviert wie ein livrierter Kellner seine Gänge, das Verhältnis zum rechten Rand ausloten lässt.

Früh im Film hält Georg Pazderski, der ehemalige Offizier und frühere AfD-Bundesgeschäftsführer, einen besorgten Vortrag. Die Jugendorganisation JA und der rechte „Flügel“ sind ihm ein Dorn im Auge: Wie sollte man bei so viel negativer Öffentlichkeitswirkung noch Volkspartei werden? Tatsächlich hat Tonmann Nils Plambeck kaum Schwierigkeiten, rassistische Aussagen aufzusammeln.

„Eine Deutsche Partei“: Neue Doku zeigt die AfD hinter verschlossenen Türen

Die wertvollsten Szenen sind freilich jene, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen. Es ist wirklich so wie 1965, als D. A. Pennebaker seinen Klassiker „Hier Strauß“ über den CSU-Politiker drehte: Man wundert sich über die Unbekümmertheit der Gefilmten. Einmal diskutieren Berliner Abgeordnete, ob sie einen Antrag für eine Verordnung stellen sollen, in jedem Klassenzimmer Grundgesetz und Deutschlandfahne vorzuhalten. „Warum sollten wir denn in jedem Klassenzimmer ausgerechnet Artikel 1 aufhängen, mit dem Satz ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘?“, gibt ein AfD-Abgeordneter zu bedenken.

Das sei doch ausgerechnet der Artikel, der immer gegen die Partei vorgebracht werde. Schnell finden auch andere Parteifreunde Passagen des Grundgesetzes, die ihnen so gar nicht gefallen. Bis der Initiator den „Witz“ des Ganzen zu erklären weiß: Gedacht sei alles doch nur als PR-Gag, denn natürlich würden alle anderen Fraktionen dagegen stimmen – und würden sich dann vor der Presse als Verfassungsfeinde erklären müssen. Auch wenn aus dieser dummen Idee nichts wurde, gehen sie der Partei nicht aus.

Neue AfD-Doku: „Eine deutsche Partei“ regt zum Nachdenken an

Brückner führt die Kamera selbst, und er tut es meisterlich. Manchen Szenen gibt er die Anmutung großer Spielfilme; etwa jener, in der einige AfD-Leute in ein Grenzgebiet reisen, um Geflüchtete für ihre Social-media-Accounts zu filmen. Auch Aaron Kimmig, Vorstandsmitglied der JA, ist im feinen blauen Anzug mitgekommen und spricht einen Afghanen an: „Sie wollen nach Deutschland, kann man ja verstehen, ist auch ein tolles Land“. Lächelnd erzählt ihm der junge Mann in bestem Englisch von seinem jahrelangen Fußmarsch, ein bewundernswerter Mensch mit großem Charisma. „Sie sind ja verrückt!“ – „Nein, überhaupt nicht“, lacht der Angesprochene. „Ich weiß, wie man wandert.“ Auch Kimmig wirkt beeindruckt und zieht sich verlegen zurück.

Große Dokumentarfilme sind wie bedeutende Werke der Reportagefotografie auch Kunstwerke – gerade wenn sich ihre Urheber mit inszenatorischen Eingriffen zurückhalten. In dieser Szene erreicht schon die Dämmerung eine poetische Überhöhung, deren Wirkung allein im Auge des Betrachtenden liegt. Andere Szenen erhalten durch die Montage ähnlich filmische Qualitäten – wenn der Regisseur etwa während einer Konferenzsitzung die Gegenschüsse der Zuhörenden einfängt.

Immer wieder erlebt man es während der 110 Minuten, dass man sich Gedanken macht über die Unbekannten, denen man da zuschaut. Was bewegt diese jungen Leute in der JA wirklich? Was führt sie dort hin oder vielleicht wieder raus? Sind sie Mitläufer oder stramme Ideologen? Große Dokumentarfilme zwingen uns, hinzuschauen, wo wir sonst nur allzu schnell vorbeigehen würden. Wie an einem Stand der AfD. (Daniel Kothenschulte)

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