Populismus

Als Populismus bezeichnet man eine politische Grundhaltung, die in radikaler →Opposition zu den herrschenden politischen und gesellschaftlichen →Eliten steht und für sich selbst reklamiert, den „wahren“ Volkswillen zu erkennen und zu vertreten. Kern dieser Haltung ist die dichotomische Abgrenzung des moralisch guten, tugendhaften Volkes von den als korrupt und selbstsüchtig bezeichneten Vertretern des sogenannten Establishments. Träger des Populismus können →Parteien, Bewegungen, ganze Regime oder einzelne Personen sein, weshalb der vom lateinischen populus (Volk) abgeleitete Begriff häufig auch in adjektivischer („populistisch“) oder personifizierter Form („Populist“/„Populisten“) verwendet wird.

Als wissenschaftliches Konzept ist der Populismus umstritten (Decker 2004). Kritiker stoßen sich insbesondere an der Wertgeladenheit des Begriffs, der damit zugleich als Waffe in der politischen Auseinandersetzung diene. Diese Eigenschaft teilt er allerdings mit vielen anderen politikwissenschaftlichen Begriffen. Des weiteren wird die Unschärfe und scheinbare inhaltliche Beliebigkeit des Populismus beklagt, der sich historisch und gegenwärtig auf höchst disparate Gruppen, Personen, Ideologien, Verhaltensweisen und Äußerungsformen beziehen lasse.

Der wissenschaftliche unterscheidet sich vom alltagssprachlichen Gebrauch des Populismusbegriffs, der diesen oftmals mit der Anbiederung an populäre politische Positionen gleichsetzt. Dies ist insofern verkürzt, als es den Populisten in ihrer Opposition zum Establishment gerade nicht darauf ankommt, möglichst breite Zustimmung zu erzielen. Indem sie sich selbst als Außenseiter darstellen und mit tabubrecherischen und in ihrer Radikalität provozierenden Forderungen aufwarten, geht es ihnen vielmehr darum, Glaubwürdigkeit unter den eigenen Anhängern zu gewinnen.

Strittig ist, ob die Anti-Establishment-Haltung des Populismus und sein Rekurs auf den vermeintlichen Volkswillen eher ein rhetorisches Stilelement darstellen oder eine substanzielle politische Ideologie dahinter steht. Damit gehen unterschiedliche Bewertungen einher. Während die Vertreter der ersten Position dem Populismus durchaus demokratiefördernde Eigenschaften zubilligen, hält ihn die zweite Position für per se demokratiefeindlich, weil seine Vorstellung von einem einheitlichen Volkswillen den liberalen und pluralistischen Prinzipien der Demokratie widerspreche.


Nachdem die Literatur zum Populismus lange Zeit gut überschaubar war, ist mit der Etablierung einer neuen Familie rechtspopulistischer Parteien in den westlichen Demokratien seit den 1980er-Jahren, die nach erheblicher Verspätung ab 2013 auch Deutschland erreicht hat, ein bis heute nicht abgerissener Boom in der Forschung eingetreten. Politikwissenschaftlich wird der Populismus vorrangig auf folgenden Ebenen analysiert: Ideologische Inhalte, Organisation/Auftreten, Ursachen/Entstehungshintergründe und Wirkung.

Ideologische Inhalte. Herrschte in den 1980er- und 1990er-Jahren die Auffassung vor, dem Populismus selbst gehe jede ideologische Qualität ab, so hat sich inzwischen die von Michael Freeden (1998) vertretene These einer „schlanken“ oder „dünnen“ Ideologie durchgesetzt. Adressat und ideologische Grundlage aller Formen des Populismus ist das „Volk“ als identitätsstiftendes Ideal. Die inhaltliche Füllung des Volksbegriffes variiert je nach ideologischer Ausrichtung. Rechtspopulisten stellen vor allem auf die nationale Identität ab, während Linkspopulisten auf den sozialen Status der arbeitenden oder wirtschaftlich benachteiligten Bevölkerungsteile verweisen. Beiden Richtungen ist gemeinsam, dass sie die Interessen der von ihnen angesprochenen Wähler mit dem wahren Volkswillen identifizieren. Gleichzeitig unterscheiden sich rechte und linke Populisten aber in einem Punkt deutlich: Während die erstgenannten das Volk auch in sich als eine kulturell oder ethnisch geschlossene Einheit betrachten, bleibt die Ausgrenzung vermeintlich nicht-zugehöriger Gruppen auf der horizontalen Ebene der von universalistischen Prinzipien geprägten Linken fremd. Dem Linkspopulismus fehlt mithin das wesentliche Merkmal des „Anti-Pluralismus“ der Rechten, für die das Volk gleichbedeutend ist mit der einheimischen, „eingesessenen“ Bevölkerung.

Schlüsselthema des Rechtspopulismus ist die Behauptung oder Wiederherstellung der gemeinschaftlichen „Identität“. Als deren ideologische Hauptbestandteile betrachtet Cas Mudde (2007) den Nativismus und den Autoritarismus. Der Nativismus steht für eine illiberale (aber nicht zwingend rassistische oder völkische) Spielart des Nationalismus, die für einen kulturell möglichst homogenen Nationalstaat eintritt. Der Autoritarismus schließt an das klassische sozialpsychologische Verständnis der Frankfurter Schule an. Diese begreift das Festhalten an traditionellen Moralvorstellungen und den Glauben an die hierarchische Gliederung der Gesellschaft als zentrales Merkmal der Persönlichkeit.

Gegen Muddes Definition ist einzuwenden, dass sie den ideologischen Kern der populistischen Identitätspolitik zu eng fasst. Einerseits zeigen Parteien wie die →Alternative für Deutschland (AfD) oder der französische Front National, dass Rechtspopulismus durchaus mit (neo-)rassistischen und extremistischen Positionen einhergehen kann. Andererseits ist er auch an nicht nativistische Begründungen der kulturellen Identität und gesellschaftspolitisch liberalere Positionen anschlussfähig – etwa bei dem Niederländer Pim Fortuyn, der sich in seiner Islamkritik ausschließlich auf die demokratischen Werte des Westens berief. Der Rechtspopulismus ist von daher nicht ohne weiteres mit der radikalen Rechten gleichzusetzen.

Auch thematisch lässt sich das Bedürfnis nach kultureller Identität unterschiedlich aufhängen. In den USA wird es vor allem durch gesellschaftspolitische Fragen gespeist, während in Europa die nationale Zugehörigkeit im Vordergrund steht. Das Nationale wird dabei nicht mehr im klassisch-partikularen Sinne aufgefasst, sondern als nationenübergreifende (west)europäische Identität, deren Gegenbild die überwiegend muslimische Zuwanderungsbevölkerung verkörpert. Gleichzeitig manifestiert es sich in der gemeinsamen Abwehrhaltung gegenüber der europäischen Integration, die im Zuge der Finanz- und Eurokrise zu einem immer wichtigeren Anti-Thema des Rechts- und zum Teil auch Linkspopulismus geworden ist (Euroskeptizismus).

Wirtschafts- und sozialpolitisch war der Rechtspopulismus in Europa in den 1980er-Jahren noch stark liberal und in einigen Fällen sogar pro-europäisch ausgerichtet, bevor in den 1990er-Jahren bei den meisten →Parteien sozialprotektionistische, also eher linke Positionen die Oberhand gewannen. Dieser Kurs entsprach nicht nur der veränderten Wählerbasis, sondern ließ sich auch ideologisch an die identitätspolitischen Kernthemen der Zuwanderungsbegrenzung und Multikulturalismuskritik problemlos anschließen („Wohlfahrtschauvinismus“).

Auftreten/Organisation. Nur noch wenige Autoren halten den Populismus heute ausschließlich für ein formales Prinzip oder Stilmittel. In organisatorischer Hinsicht treten als seine Haupteigenschaften die charismatische Führerschaft und der Bewegungscharakter hervor. Die Bedeutung der charismatischen Führung ergibt sich unmittelbar aus der Vorstellung eines einheitlichen Volkswillens. Sie erstreckt sich in der Regel aber nur auf die Gründung und den elektoralen Durchbruch der Parteien, die in der Tat fast immer einzelnen herausragenden Führungspersönlichkeiten zu verdanken ist. Den meisten dieser Parteien ist es gelungen, auch nach deren Ausscheiden weiter zu bestehen und erfolgreich zu bleiben.

Der Bewegungscharakter des Populismus zeigt sich einerseits darin, dass seine Vertreter zumeist keine Abspaltungen von existierenden Parteien sind, sondern aus der Gesellschaft hervorgehen. Zum anderen folgt er aus dem ideologischen Verständnis einer Anti-Parteien-Partei, was sich bereits an der eigenen Namensgebung ablesen lässt. Die Kritik am bestehenden Machtsystem und das Eintreten für mehr direkte Entscheidungsrechte des Volkes stellen in der populistischen Demokratieauffassung Seiten derselben Medaille dar. Neben der wirtschafts- und sozialpolitischen Agenda und dem Kernthema der kulturellen Identität bilden sie ein weiteres Schlüsselelement seiner programmatischen und elektoralen Gewinnerformel.

Innerhalb und jenseits der Organisationsstrukturen hängt die Mobilisierungsfähigkeit der populistischen Akteure maßgeblich davon ab, wie sie ihr Wählerpublikum adressieren. Dies schließt neben der Rhetorik auch die Ästhetik des Auftritts ein. Als Agitationsformen des Populismus sind unter anderem zu nennen: Der Appell an Privatmoral und gesunden Menschenverstand, die Vorliebe für radikale Lösungen, Verschwörungstheorien und Feinbilddenken, gezielte Entgleisungen, Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern, Emotionalisierung und Angstmache. Durch den neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit haben sich die Bedingungen der Wähleransprache für die Populisten erheblich verbessert. Die sozialen Netzwerke geben ihnen die Möglichkeit, ihre Wähler unter Umgehung der traditionellen Medien zu erreichen und die letzteren gleichzeitig als Teil des verhassten Establishments zu brandmarken. Nicht nur im Umfang sondern auch in der Professionalität sind sie bei deren Nutzung der etablierten Konkurrenz heute zum Teil deutlich voraus.

Ursachen/Entstehungshintergründe. Populistische Parteien und Bewegungen sind ein Produkt von Modernisierungskrisen. Sie entstehen, wenn in einer →Gesellschaft die vorhandene Balance „von wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sozialstrukturellen Machtverteilungen und kulturellen Bewusstseinsformen in Bewegung gerät“ (Dubiel 1986, S. 47). Der amerikanische Historiker Lawrence Goodwyn (1976) bezeichnet solche Konstellationen als „populistischen Moment“. Populismus hat es auch zu früheren Zeiten gegeben – etwa die ausgangs des 19. Jhds. in den USA entstandene Populist Party (der das Phänomen seinen Namen verdankt) oder die Poujadisten in der IV. Französischen Republik in den 1950er-Jahren. Linkspopulistische Bewegungen können auf Vorläufer im vorindustriellen Russland (Narodniki) und insbesondere Lateinamerika zurückblicken, wo der Populismus seit den 1930er-Jahren in vielen Ländern ein periodisch wiederkehrender Bestandteil der politischen Prozesse ist.

Sieht man von der Kontinuität des Phänomens in Lateinamerika ab, handelt es sich bei den genannten Beispielen um historisch versetzte Erscheinungen. Für die heutigen Populismen ist dagegen gerade ihr zeitliches und räumliches Zusammentreffen kennzeichnend. Weil im Zuge der beschleunigten Globalisierung die Gesellschaften in ihrer Problembetroffenheit immer enger aneinanderrücken, teilen sie auch die durch die negativen Folgen der Modernisierung ausgelösten populistischen Gegenreaktionen.

Ökonomisch zeigen sich diese Folgen in steigender Lohnkonkurrenz und einen allmählichen Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungen, der die Polarisierung zwischen Arm und Reich verschärft. Wachsende Teile der Mittelschicht sehen sich mit Abstieg bedroht. Die Betroffenen müssen dabei nicht zwingend objektive Verluste erleiden (des Einkommens oder des Arbeitsplatzes). Entscheidend ist das Gefühl der eigenen Benachteiligung, das sich aus der Orientierung an bestimmten Erwartungen oder Referenzgruppen ergibt. Ein solches Gefühl kann sich auch bei Gewinnern einstellen, wenn sie glauben, im Verteilungskampf von anderen ausgenommen zu werden (Verteilungskrise).

In kultureller Hinsicht bedeutet Globalisierung, dass Differenzen des Lebensstils und der moralischen Orientierung sichtbarer werden. Da sich die Migration heute – anders als früher – in zunehmenden Maße auch auf Angehörige anderer Kulturkreise erstreckt, verwandeln sich die einstmals homogenen Nationen über kurz oder lang in multiethnische und -kulturelle Gesellschaften. Die Konfrontation mit den Fremden wird von Teilen der eingesessenen Bevölkerung als Verlust der hergebrachten Identität empfunden. Dieser Verlust wiegt umso schwerer, als im Zuge von Individualisierungsprozessen auch andere Gruppenbindungen schwinden (Identitäts-/Sinnkrise).

Soziale Unsicherheit und Entfremdung führen schließlich dazu, dass Teile der Gesellschaft sich politisch nicht mehr ausreichend repräsentiert fühlen. Da der Staat seiner souveränen Handlungsfähigkeit durch die Globalisierung zunehmend beraubt wird, kann er dies nicht mehr ohne weiteres durch Leistungssteigerung wettmachen. Verlorene Handlungsspielräume lassen sich zwar auf der supra- und transnationalen Ebene partiell zurückgewinnen; gerade dadurch werden sie aber der demokratischen Kontrolle und Beeinflussbarkeit entzogen, die bislang ausschließlich im nationalstaatlichen Rahmen ihren Platz hatten (Repräsentationskrise).

Ein Vergleich der Wahlergebnisse rechts- und linkspopulistischer Parteien zeigt, dass die erstgenannten primär in den wettbewerbsstärkeren, offenen Volkswirtschaften West- und Nordeuropas reüssieren, die – als Folge ihrer Wettbewerbsfähigkeit – einerseits ein hohes Wohlfahrtsstaatsniveau, andererseits einen hohen Zuwandereranteil in der Bevölkerung aufweisen. Die Konflikte, die sich an der Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen durch die Zuwanderer festmachen, werden hier am wirksamstem durch die „migrationskritischen“ rechtspopulistischen Parteien zum Ausdruck gebracht. Diese Möglichkeit besteht umso mehr, als der Wohlfahrtsstaat seinerseits durch den globalen Wettbewerb (dessen Verlierer er eigentlich schützen soll) unter Druck gerät. Anders liegt der Fall in den wettbewerbsschwächeren südeuropäischen Ländern, die sich durch einen weniger ausgebauten Wohlfahrtsstaat und niedrigeren Migrantenanteil auszeichnen. Deren Misere lässt sich vor allem auf die Abhängigkeit vom globalen Finanzmarkt zurückführen, was politisch eher dem Linkspopulismus mit seinen kapitalismuskritischen Positionen in die Hände spielt. Eine besondere dritte Gruppe bilden wiederum die in den 1990er-Jahren neu entstandenen mittelosteuropäischen Demokratien, in denen die populistischen und nationalistischen Kräfte die Parteienlandschaften mittlerweile dominieren. Deren Feindseligkeit gegen jegliche „kulturfremde“ Flüchtlinge wirkt vor dem Hintergrund einer praktisch nicht vorhandenen Zuwanderung nur scheinbar widersprüchlich: „Sie hat ihre Wurzeln in der Geschichte, in der Demografie und in den verzwickten Paradoxien der postkommunistischen Übergangsphase. Und zugleich bildet sie die mitteleuropäische Variante einer volkstümlichen Revolte gegen die Globalisierung“ (Krastev 2017, S. 58).

Gab es zu Beginn der 2000er-Jahre noch Anzeichen für eine allmähliche Erschöpfung der populistischen Mobilisierungsfähigkeit, so haben die am 11. Sep. 2001 in den USA beginnende Serie islamistischer Terroranschläge, die durch die Bürgerkriege im Nahen Osten und die sich verschlechternde Lebenssituation in großen Teilen des afrikanischen Kontinents und den Ländern des südlichen Balkans seit 2013 stark ansteigenden Flüchtlingszahlen sowie die 2007 ausgebrochene Finanz- und Eurokrise die Empfänglichkeit der Wähler für den Populismus weiter verstärkt. Während die Angst vor dem Islam Wasser auf die Mühlen der rechten Einwanderungskritiker lenkte, verschaffte die Finanz- und Eurokrise den populistischen Kritikern des „neoliberalen“ Modernisierungsprojekts von links wie von rechts neuen Zulauf. Dessen Schattenseiten hatten sich in Europa schon in den 1990er-Jahre zunehmend bemerkbar gemacht und dafür gesorgt, dass auch jene Rechtspopulisten, die wie etwa die italienische Lega Nord vorher zum Teil noch pro-europäisch aufgestellt waren, nun zu rigorosen EU-Gegnern mutierten.

Die Entstehungsursachen spiegeln sich in der Wählerstruktur der populistischen Parteien. Belege für die Modernisierungsverlierer-These lassen sich sozialstrukturell und auf der Einstellungsebene finden. Männer, junge und mittlere Altersgruppen sowie niedrige bis mittlere formale Bildungsabschlüsse sind überdurchschnittlich vertreten. Mit dem Siegeszug des „Neoliberalismus“ wandten sich seit den 1990er-Jahren über die Angehörigen des alten Mittelstands hinaus auch Arbeiter und Arbeitslose vermehrt dem Rechtspopulismus zu. Die Wählerzusammensetzung näherte sich dadurch den linkspopulistischen oder -sozialistischen Konkurrenten an. Auf der subjektiven Ebene hat sich gezeigt, dass die Wahlbereitschaft populistischer Parteien unter anderem mit starker politischer Unzufriedenheit, xenophoben Einstellungen und fehlendem sozialen Vertrauen zusammenhängt. Weil auch viele Anhänger linker Parteien konservativ-autoritäre Wertvorstellungen hegen, gibt es hier ebenfalls starke Überschneidungen zwischen der rechts- und linkspopulistischen Wählerschaft.

Wirkung. Nachdem sich die in den 1980er-Jahren noch vielfach gehegte Erwartung, dass es sich bei den neuen rechts- und linkspopulistischen Parteien um vergängliche Protestphänomene handele, nicht bewahrheitet hat, ist die Wirkungsebene populistischer Politik verstärkt in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Dabei geht es um die Folgen des Populismus für den Parteienwettbewerb, das Regierungshandeln und die Demokratie im allgemeinen.

Im Wettbewerb mit den populistischen Herausforderern haben sich die etablierten Parteien an unterschiedlichen Strategien versucht. Diese reichen von strikter Ausgrenzung über die thematische/rhetorische Anpassung bis hin zur förmlichen Zusammenarbeit und Einbindung in die Regierungsverantwortung. Keine dieser Strategien hat den Wählerzuspruch der Populisten dauerhaft sinken lassen. Wo die (rechts)populistischen Parteien selber direkten Einfluss auf das Regierungshandeln nehmen konnten, ist dieser im Bereich der kulturellen Themen spürbarer als in der →Wirtschafts-, →Sozial- oder →Außenpolitik. Am deutlichsten zeigt sich ihre Handschrift in der →Migrationspolitik, die unter ihrer Mitverantwortung drastisch verschärft wurde, und in der Reserve gegenüber gemeinschaftlichen Problemlösungen innerhalb der Europäischen Union.

Welche „systemischen“ Auswirkungen das Vordringen des Populismus hat, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Auf der einen Seite untergräbt das Erstarken der Außenseiterparteien die normale Funktionsweise des demokratischen Wettbewerbs, indem er die Parteien der Mitte gegen deren Willen in gemeinsame →Koalitionen zwingt und durch seinen mangelnden Respekt vor demokratischen Prinzipien das politische Klima vergiftet. Auf der anderen Seite legt der Populismus Repräsentationsdefizite der Politik offen, die die vorhandenen Parteien zu Korrekturen zwingen und so dazu beitragen, dass das System wieder in eine neue Balance kommt.

Am Ende hängt es von der Stärke und vom Selbstverständnis der populistischen Parteien ab, welche Tendenz überwiegt. Gewinnen diese die Mehrheit und haben sie Zugriff auf die ganze oder einen Großteil der Regierungsmacht, könnten sie tatsächlich versucht sein, ihre Vorstellungen eines quasi-demokratischen Autoritarismus zu betreiben. Dass solche Befürchtungen keineswegs aus der Luft gegriffen ist, beweisen nicht nur die Erfahrungen aus vielen lateinamerikanischen Ländern, sondern auch die jüngsten Entwicklungen in Ungarn, Polen und den USA. Vor diesem Hintergrund wird es nicht genügen, dem Populismus auf der Metaebene der politischen Auseinandersetzung entgegenzutreten. Das Scheitern der gegensätzlichen Bekämpfungsstrategien belegt, dass man das Übel letztlich an der Wurzel der gesellschaftlichen Probleme packen muss. Nur durch eine Politik, die den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt auf der nationalen wie europäischen Ebene stärkt und das Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit ernster nimmt als bisher, kann es gelingen, dem Populismus seine Protestgründe wenigstens teilweise zu entziehen.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Frank Decker

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